Verschiedene Gründe sprechen für eine kurzfristige markttechnische Erholung im September. Mittelfristig jedoch bleiben wir weiterhin vorsichtig, da nicht zuletzt in Europa die Konjunkturrisiken steigen. Potenzial sehen wir u.a. in Japan und bei Unternehmen, die vom „Inflation Reduction Act“ der USA profitieren können.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Im Gespräch mit dem Wall Street Experten und Finanzjournalisten Markus Koch geht der Leiter der DJE Research Abteilung, Stefan Breintner, auf die zentralen Thesen ein.
Zusammenfassung
Im September halten wir Vorsicht weiterhin für angebracht, auch wenn kurzfristig eine (markttechnische) Erholung möglich ist. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Saisonal gesehen ist der September oft ein eher schwieriger Monat. Monetär ist die Situation unverändert als negativ einzustufen. Zwar hält sich die Konjunktur in den USA gut, aber in Europa nehmen die Konjunkturrisiken weiter zu. Markttechnische Indikatoren haben sich die letzten Wochen klar verbessert und offerieren ein gewisses kurzfristiges Erholungspotenzial. Mittelfristig bleibt der allgemeine Marktausblick aber schwierig. Mit einem Fokus auf Sondersituationen (s. Chancen) sollte sich diese Phase gut überstehen lassen.
Chancen
Japan bietet Potenzial: Das Land der aufgehenden Sonne bietet dank der kaum veränderten expansiven Leitzinspolitik ein relativ gutes Geldmengenwachstum. Außerdem profitiert es aktuell vom „Near shoring“, d.h. vom Auslagern von Produktionen aus anderen Ländern der Region nach Japan. Und schließlich ist der japanische Aktienmarkt in globalen Fonds nicht übergewichtet und analytisch nicht teuer.
Energiesektor mit verbessertem Umfeld: Tendenziell sollte sich das fundamentale Umfeld des Energiesektors verbessern. Unter anderem ist die Bohraktivität in den USA rückläufig, und es besteht Streikrisiko bei Flüssiggas-(LNG)-Produktionsstätten in Australien, was zu steigenden Energiepreisen führen dürfte. Zudem ist der Sektor in globalen Fonds nicht übergewichtet.
US Inflation Reduction Act: Unternehmen aus den USA und solche, die ihre Produktion ganz oder teilweise dorthin verlagern, können vom US Inflation Reduction Act profitieren und damit eine fiskalpolitische Sonderkonjunktur erfahren.
Versorger: Chancen sehen wir auch bei ausgewählten Unternehmen aus dem Versorgersektor und des Private Equity-Segments
Risiken
Rückläufige Geldmenge: In den USA und Europa sind die Geldmengenaggregate M1 deutlich rückläufig. Die Geldmenge M1 setzt sich aus den Sichteinlagen der Nichtbanken und dem Bargeldumlauf im Euro-Raum zusammen. Mit Sichteinlagen sind die Bankguthaben gemeint, für die es keine bestimmte Laufzeit oder Kündigungsfrist gibt. Nach unserem hausinternen FMM-Modell hat sich das Anlageumfeld zuletzt weiter verschlechtert.
Rezession in Deutschland und Europa: In Deutschland hat die Rezession mit zwei aufeinanderfolgenden negativen Quartalen bereits eingesetzt, in Europa wird sie kommen: eine tiefe und länger anhaltende Rezession. Wir meiden Aktien, die stark vom deutschen bzw. europäischen Binnenkonsum abhängen.
Sektoren Automobilindustrie und Chemie: Den deutschen Schlüsselbranchen Automobile und Chemie dürften schwierige Zeiten bevorstehen, da ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit aus verschiedenen Gründen (E-Mobilität drückt auf Verbrenner-Marge und starke E-Auto-Konkurrenz aus den USA und China bzw. hohe Energiekosten) abnehmen dürfte.
Fundamental
- USA: Rezession oder „Soft landing“?
- Japan mit guter Entwicklung
- China als „Wachstumsbremse“
- Deutschland und Europa in Rezession
Die Kernfrage ist, ob es in den USA zu einer Rezession kommt oder nicht. Aktuell entwickeln sich die US-Unternehmensgewinne noch überwiegend gut, ein „Hard landing“ ist von den meisten Marktteilnehmern nicht eingepreist, aber negative Konjunkturüberraschungen können wir nicht ausschließen. Zum Beispiel könnte der Binnenkonsum in den USA sinken, und die Sparquote könnte wieder stärker steigen – inzwischen ist sie von 8% auf 4% gefallen. Eine wichtige Unterstützung für die Konjunktur und den US-Industriesektor bleibt der IRA (Inflation Reduction Act).
Japan bietet dank der kaum veränderten expansiven Leitzinspolitik weltweit mit das beste Geldmengenwachstum. Außerdem profitiert es aktuell vom „Near shoring“, d.h. vom Auslagern von Produktionen aus anderen Ländern der Region nach Japan. Die japanischen Einkaufsmanagerindizes für den verarbeitenden Sektor und den Dienstleistungssektor liegen beide im expansiven Bereich und signalisieren damit künftiges Wirtschaftswachstum.
China kommt dagegen nicht in Gang und ist derzeit eher „Wachstumsbremse“ als „Wachstumslokomotive“ der Weltwirtschaft. Es ist keine größere fiskalpolitische Stimulierung in Sicht. Der Immobilienmarkt ist schwer belastet, und es ist ein Vertrauensverlust in Wealth-Management-Produkte wahrnehmbar. Chinesische Aktien erscheinen aktuell sehr günstig. Dennoch sprechen die Rahmenbedingungen, auch politisch, aus unserer Sicht gegenwärtig eher für den Aktienmarkt der USA.
In Deutschland hat die Rezession mit zwei aufeinanderfolgenden negativen Quartalen bereits eingesetzt, in Europa wird sie kommen: eine tiefe und länger anhaltende Rezession. Die Konjunkturrisiken nehmen weiter zu, zum Beispiel ist der Einkaufsmanagerindex für die Industrie im Euroraum tief im rezessiven Bereich, und der Index für den Dienstleistungssektor ist in den rezessiven Bereich gerutscht.
Monetär
- US-Leitzinsen werden bremsen
- US-Inflation kurzfristig im Zielkorridor
- EZB hat Ziel verfehlt
In den USA liegen die Zinsen im Vergleich zum Wachstum aus unserer Sicht auf einem (zu) hohen Niveau, die hohen Zinsen müssten über kurz oder lang zu einem Bremseffekt führen.
Kurzfristig betrachtet liegt die Gesamtinflation in den USA bereits im Zielkorridor der US-Notenbank. Ausgeschlossen ist eine weitere Erhöhung des Leitzinses im September oder November nicht, obwohl sich eine weitere Erhöhung als politischer Fehler herausstellen könnte.
Die US-Notenbank hat es geschafft die Kerninflationsrate zurückzudrängen. Hier treiben im Prinzip nur noch die Wohnkosten die Inflation nach oben. Die EZB hingegen hat praktisch nichts erreicht: Die Inflation ist noch hoch, und die Konjunktur stottert. Aufgrund der noch hohen Inflation ist der Spielraum der EZB, die Zinsen zu senken, um die Konjunktur im Euroraum wieder zu beleben relativ, gering. Außerdem ist der Euroraum, anders als die USA, von Energie-Importen abhängig. Steigt der Energiepreis im vierten Quartal saisonbedingt wieder an, kann auch die Gesamtinflation wieder steigen.
Markttechnisch
- Positiv: Sentiment eingebrochen
- Negativ: Fallende Advance-Decline-Linie
Kurzfristig ist der große Optimismus an den Märkten verschwunden bzw. das Sentiment ist eingebrochen. Deutlich wird dies beim Anstieg des Put-Call-Ratios, d.h., es werden mehr Puts als Calls gekauft, und der „Fear&Greed“-Index tendiert in Richtung Furcht (fear) und nicht in Richtung Gier (greed). Außerdem verzeichnete der NAAIM-Index (National Association of Active Investment Managers = Nationaler Verband aktiver Investment-Manager) einen deutlichen Rückgang. Dieser Indikator gibt an, wie stark die Mitglieder dieses Verbandes (u.a. Vermögensverwalter und Fondsmanager) derzeit in Aktien investiert sind. Diese Anzeichen zusammengenommen sprechen antizyklisch für eine kurzfristige Erholung des Marktes
Auf der anderen Seite ist die sogenannte Advance-Decline-Linie gefallen. Diese AD-Linie ist ein Indikator der Charttechnik für die Ermittlung des Trends in einem Gesamtmarkt. Zu seiner Berechnung werden alle Aktien eines Marktes mit Tagesverlust von den Aktien mit Tagesgewinn abgezogen. In der Vergangenheit waren fallende bzw. schlechte AD-Linien ein Vorläufer für Aktienbaissen