Mit Blick auf den Mai und die kommenden Monate halten wir mehr Vorsicht für angebracht. Zwar sollten die Zinsen nicht weiter steigen, aber das Zinsniveau dürfte länger hoch bleiben als der Markt erwartet. Außerdem sind die Verzögerungen, mit der die restriktivere Geldpolitik wirksam wird, noch nicht eingepreist.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Im Gespräch mit dem Wall Street Experten und Finanzjournalisten Markus Koch geht der Leiter der DJE Research Abteilung, Stefan Breintner, auf die zentralen Thesen ein.
Zusammenfassung
Viele Börsen haben sich in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 gut entwickelt. Die nächsten Monate könnten nun herausfordernder werden. Der Saisonrhythmus von Mai bis Oktober ist oft nicht einfach, und die monetäre Situation ist derzeit unverändert als schwierig einzustufen. Zwar ist aus unserer Sicht nicht mehr mit Zinsanhebungen zu rechnen. Aber mit Blick auf das zweite Halbjahr erscheinen uns die Erwartungen des Marktes, es könne Zinssenkungen geben, zu optimistisch. Dafür ist die Kerninflation noch immer zu hoch und dürfte auch nur langsam zurückgehen. Zudem ist die Kreditvergabe der Banken rückläufig, was die wirtschaftliche Entwicklung bremsen wird. Regional sehen wir Chancen in Asien, vor allem in China und Japan. Außerdem halten wir das Chance-Risiko-Verhältnis von Anleihen mit ansprechender Verzinsung weiterhin für attraktiv.
Fundamental
- Rezession in den USA wahrscheinlich
- Schlechtere Kreditvergabe und verzögerte Wirkung der Geldpolitik belasten v.a. mit Blick auf 2024
- Versorger strukturell interessant
- Chancen in China
US-Notenbankpräsident Powell glaubt weiter an ein „soft landing“ der US-Wirtschaft und nicht an eine Rezession. Wir sind nicht so optimistisch und halten es aktuell für unwahrscheinlich, dass eine Rezession in den USA komplett vermieden werden kann. Ein Risikofaktor bleiben gewerbliche Immobilienkredite, vor allem für die US-Regionalbanken. Probleme im Bankensektor und eine nachlassende Inflationsdynamik dürften dazu führen, dass wir nun am Ende des US-Zinserhöhungszyklus angekommen sind. Diese Entwicklung begünstigt den Technologiesektor. Dieser ist unserer Einschätzung nach absolut und gegenüber der eigenen Historie nicht zu hoch bewertet, wohl aber hoch bewertet im Vergleich zu anderen Sektoren.
Auch in Deutschland steigen die Konjunkturrisiken. Gefahr droht nicht zuletzt vom Immobilienmarkt: Einige Immobilienfirmen könnten in Schwierigkeiten geraten und damit dann auch Druck auf den Bankensektor ausüben. Die Kreditvergabe der Banken wird sich verschlechtern, sowohl in den USA als auch in Europa. Mittelfristig dürfte dies zu schwächeren Frühindikatoren und zu nachlassenden Gewinnen in einigen Sektoren führen. Ein anderer Sektor dagegen ist für uns in Deutschland und Europa strukturell interessant: Versorger. Die Strompreise sind in Deutschland bei weitem nicht wieder so stark zurückgekommen wie z.B. die Gaspreise.
Mit Blick auf 2024 erscheinen uns viele aktuelle Wachstumsprognosen zu optimistisch: In den aktuellen Prognosen sind die Verzögerungen, mit der die restriktivere Geldpolitik wirksam wird, noch nicht eingepreist. Chancen sehen wir derzeit in China: Dort entwickelt sich vor allem der Service-/Reise-Sektor sehr gut. Im Immobilienmarkt stabilisiert sich die Situation, und die Preise steigen in vielen Städten/Regionen bereits wieder. Es dürfte jedoch noch etwas dauern, bis sich die Belebung des chinesischen Immobilienmarkts auch positiv auf die Rohstoffnachfrage auswirken wird. Darüber hinaus entwickeln sich chinesische Banken aktuell relativ gut.
Monetär
- Gesamtinflation sinkt, Kerninflation bleibt hartnäckig
- Weitere Zinsänderungen nach oben und unten unwahrscheinlich
- Ausgewählte hochwertige Anleihen mit attraktiver Verzinsung
Die US-Gesamt-Inflation sollte in den kommenden Monaten weiter rückläufig sein. Auch in der Eurozone dürfte die Gesamt-Inflation energiepreisgetrieben fallen. Dagegen dürfte die Kerninflation (ohne Energie und Nahrung) langsamer zurückgehen. Aufgrund der insgesamt weiter hohen Kerninflation erscheinen schnelle Zinssenkungen unrealistisch. Weitere Zinserhöhungen sind in den USA aber ebenfalls unwahrscheinlich.
Generell sieht der Markt die Zinsentwicklung wesentlich optimistischer als die Mitglieder des US-Offen-Markt-Ausschusses (FOMC) der Zentralbank. Die Zinsen könnten länger hoch bleiben als heute vom Markt erwartet.
Anleihen: Wir bleiben vorerst weiter bei einer tendenziell eher kurzen Duration. Bei den 10jährigen US-Staatsanleihen scheint viel eingepreist (deutlich unter FED-Funds), dagegen erscheint das Zinsniveau deutscher 10-jähriger mit 2,25% relativ unattraktiv. Anleihen mit einer Laufzeit von 2 bis 4 Jahren sind unserer Meinung nach interessanter.
Markttechnisch
- Starker Pessimismus ist antizyklisches Kaufsignal
- Schwieriger Saisonrhythmus
Die aktuelle Markttechnik wirkt weiterhin unterstützend für die Börsen. Es herrscht kein zu großer Optimismus an den Märkten, und es gibt hohe Short-Positionen auf den breiten US-Aktienindex S&P 500. Das ist positiv, da die Stimmung bei möglichen schlechten Nachrichten weniger stark in Enttäuschung umschlagen dürfte. In diesem Zusammenhang ist der stark ausgeprägte Pessimismus bei Anlegerumfragen der AAI (Association of American Individual Investors) in den USA ein antizyklisch positives Kaufsignal.
Im Gegensatz zum Vormonat tritt der Saisonrhythmus nun allerdings in eine schwierigere Periode ein. Es fehlt an Marktbreite: In diesem Jahr wurden bzw. werden die Aufwärtsbewegungen der Börsen in den USA und Europa von nur wenigen großen Titeln getragen. Zudem ist die Volatilität niedrig.