In den vergangenen Jahren achteten die Investoren vor allem auf Kriterien wie das Umsatzwachstum. Das wird sich sehr wahrscheinlich ändern. Profitable Unternehmen mit starker Marktposition, die Preise weitergeben und Margen halten können, haben künftig aus unserer Sicht die Nase vorn.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Im Gespräch mit dem Wall Street Experten und Finanzjournalisten Markus Koch geht der Leiter der DJE Research Abteilung, Stefan Breintner, auf die zentralen Thesen ein.
Überblick
Der April 2022 war ein sehr schwieriger Börsenmonat: In den USA brach die amerikanische Technologiebörse, gemessen am Nasdaq 100, um -13,3% in US-Dollar ein und erlitt damit den höchsten Monatsverlust seit dem Börsencrash im Oktober 2008; der breite US-amerikanische Index S&P 500 gab um knapp -9% in US-Dollar nach und legte damit den – über die ersten vier Monate betrachtet – schlechtesten Jahresstart seit 1939 hin. Trotzdem konnten wir uns mit unseren relativ hohen Aktienquoten im April gut behaupten. Einige unserer Fonds entwickelten sich sogar überdurchschnittlich, darunter die Dividendenstrategien und ein offensiver Mischfonds.
Kurzfristige Prognosen bleiben aber weiterhin schwierig. Das raue Marktumfeld gibt Anlegern aus verschiedensten Gründen Anlass zur Sorge, allen voran das geopolitische Risiko Russland/Ukraine, die anstehenden Zinssteigerungen der US-Notenbank (Fed) bzw. die geldpolitische Wende hin zu monetärer Straffung und die konjunkturelle Lage in China. Trotzdem halten wir es für richtig, die Aktienquoten derzeit nicht zu reduzieren. Die Fed hat die Zinsen wie erwartet um einen halben Prozentpunkt erhöht und sich nicht zu falkenhaft geäußert. Das könnte für die Märkte und Börsenkurse aus unserer Sicht ein Erholungssignal sein. Dafür spricht vor allem die aktuell sehr gute Markttechnik: Momentan herrscht ein sehr großer Pessimismus, und viele markttechnische Indikatoren liefern Kaufsignale.
Aktien/Anleihen
- Hohe Aktienquoten, niedrige Anleihequoten
- Fokus weiter auf defensiven Aktien
Mischfonds mit hohen Aktienquoten haben sich im laufenden Jahr meist besser geschlagen als solche mit hohen Anleihequoten. Aus unserer Sicht ist es auch weiterhin angebracht, stärker auf Aktien zu setzen. Die Aktienquoten sollten daher hoch bleiben. Wir halten einen Fokus auf defensive Aktien unverändert für sinnvoll. Aktien von Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht und damit stabilen oder im Idealfall steigenden Margen bleiben langfristig voraussichtlich die beste Anlagealternative. Dagegen sollte die Anleihequote niedrig bleiben: Das Umfeld für Anleihen bleibt aufgrund der stark steigenden Inflation und der erwarteten Zinsanhebungen, v.a. in den USA, mittelfristig schwierig.
Aktien/Bewertung
- Wert vor Wachstum
- Preissetzungsmacht und Profitabilität sind entscheidende Kriterien
In den vergangenen Jahren standen vor allem Kriterien wie das Umsatzwachstum im Fokus der Investoren. Das könnte sich nun ändern. Kriterien wie die Preissetzungsmacht von Unternehmen und eine starke Marktposition bzw. die Fähigkeit, die Margen halten zu können, werden aus unserer Sicht wichtiger werden. Die Aktien jener Unternehmen, deren Profitabilität sich nicht verschlechtert, dürften künftig relativ gut laufen bzw. sich überdurchschnittlich entwickeln. Auch Kriterien wie Bewertung und Dividende dürften weiterhin eine größere Bedeutung haben als in den vergangenen Jahren.
Regionen
- USA konjunkturell und börsentechnisch besser als Europa
- Verzögerungseffekt der monetären Bremsung könnte stärker sein
- Innerhalb Europas bleibt Frankreich attraktiv, Deutschland dagegen belastet
- China weiterhin schwierig einzuschätzen und risikoreich
2022 dürfte es in den USA nicht zu einer Rezession kommen. Bei einem so starken Arbeitsmarkt wie heute kam es in der Vergangenheit noch nie zu einer Rezession. Auch der negative Realzins und die nach wie vor hohen Investitionen dürften die Konjunktur weiter stützen. Mit Blick auf die US-Geldpolitik haben wir es aktuell nicht mit einer klassischen Bremsung zu tun. Wir halten es für wenig realistisch, dass es in diesem Jahr zu einer Kreditklemme (Credit Crunch) kommt, da die Liquidität im Markt durch die vorangegangene massive Stimulierung noch sehr hoch ist. Dies könnte auch den mit der monetären Bremsung verbundenen Verzögerungseffekt verstärken.
Deutschland und Europa dagegen werden durch den Krieg in der Ukraine voraussichtlich stark belastet. Zudem wird der deutsche Export in Richtung China durch die schwächere Wirtschaftsentwicklung in China beeinträchtigt. Innerhalb Europas bleibt die französische Börse attraktiv: Frankreich ist u.a. aufgrund einer höheren Neuverschuldung und einer geringeren Abhängigkeit der Wirtschaft vom produzierenden Gewerbe eine vielversprechende Anlageregion.
China dagegen bleibt weiter schwierig einzuschätzen: Einerseits ist Chinas Industrieproduktion im April so stark geschrumpft wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr, und anderseits wird auch die Immobilienkrise nicht so bald überwunden sein Darüber hinaus hemmt auch der strikte Null-Covid-Ansatz weiterhin die wirtschaftliche Erholung. Lockerungen und konjunkturelle Ankurbelungen nimmt China bislang nur sehr zaghaft vor, und sie reichen nicht aus, um die negativen Effekte aus der Immobilienmarktschwäche und der Covid-bedingten Lockdowns zu kompensieren.
Sektoren
- Branchenauswahl aktuell schwierig
- Chancen für den Agrar- und den Energiesektor
Die Branchenauswahl ist aktuell deutlich schwerer als die Länderauswahl. Zurzeit ist der Agrarsektor sowohl fundamental als auch markttechnisch attraktiv und bietet unverändert ein gutes Chance-Risiko-Profil. Aufgrund der angespannten Angebotssituation bleibt auch der Energiesektor weiter chancenreich. Im Technologiesektor sind wir dagegen weiterhin vorsichtig. Innerhalb Deutschlands setzen wir auf nicht-zyklische, defensive Titel, z.B. aus den Branchen Versicherungen und Pharma/Gesundheitswesen, oder auch auf Finanzwerte, z.B. Börsenbetreiber. Diese Werte haben gegenwärtig ein deutlich bessere Chance-Risiko-Verhältnis als zyklische, stark energieabhängige Aktien.
Währungen/Rohstoffe/Gold
- US-Dollar markttechnisch und fundamental stärker unterstützt als der Euro
- Markttechnisch kein übertriebener US-Dollar-Optimismus
- Erneuter Ölpreisanstieg wahrscheinlich
Aus markttechnischer und auch aus fundamentaler Sicht müsste sich die US-Dollar-Stärke gegenüber dem Euro (und auch gegenüber den meisten asiatischen Währungen) fortsetzen. Positionierungsdaten für den US-Dollar sind weiterhin weitgehend neutral. Markttechnisch ist kein extremer US-Dollar-Optimismus zu erkennen. Eine für den Euro positive Korrelation mit dem US-Dollar ist unwahrscheinlich und träte nur bei einem ausgeprägten Euro-Optimismus ein, den wir aktuell nicht sehen. Eine Absicherung gegenüber dem US-Dollar halten wir daher nicht für notwendig.
Der starke US-Dollar und steigende Anleiherenditen haben die Goldpreisentwicklung im April in US-Dollar gerechnet gebremst, in Euro gerechnet stieg der Goldwert dagegen um +2,5%. Es gab zuletzt weniger Goldoptimisten, und Netto-Future-Long-Kontrakte waren wieder rückläufig. Gold behält aber seinen „Hedge-/Absicherungs-Charakter“, z.B. für den Fall einer weiteren geopolitischen Eskalation. Gold sollte aus unserer Sicht daher weiterhin Portfolio-Bestandteil bleiben. Im Falle eines möglichen Embargos gegen russisches Öl dürfte der Ölpreis erneut deutlich anziehen. Ein Gasembargo würde Europa und vor allem Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine tiefe Rezession führen.