Ein Damoklesschwert hängt über der deutschen und zum Teil auch europäischen Industrieproduktion. Sollte kein russisches Gas mehr geliefert werden, besteht die Gefahr weiterer Kursverluste. Ein besseres Chance-Risiko-Verhältnis bietet zurzeit der US-Aktienmarkt. Zudem bieten ausgewählte Anleihen Chancen bei überschaubaren Laufzeiten.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Hinweis: Aufgrund von Urlaubs-bedingter Abwesenheit wird die Aufnahme unseres Marktkommentar Videos mit Markus Koch erst Mitte Juli folgen.
Überblick
Auch der Juni 2022 war – nach den bereits sehr schwierigen Monaten April und Mai – ein herausfordernder Börsenmonat. Das erste Halbjahr 2022 war für den amerikanischen S&P 500 mit einem Kursverlust von -20,6% in US-Dollar das schlechteste seit 1970. Und die amerikanische Technologiebörse NASDAQ verzeichnete im zweiten Jahresviertel 2022 mit einer Einbuße von -22,5% in US-Dollar das schlechteste Quartal seit 2008.
Das konjunkturelle Marktumfeld dürfte auch in den kommenden Monaten äußerst anspruchsvoll bleiben: Bei den fundamentalen und den monetären Indikatoren ist kurzfristig keine Besserung in Sicht, und auch die geopolitische Lage dürfte schwierig bleiben. Wir haben daher beschlossen, uns noch defensiver aufzustellen und die Cash-Quoten weiter zu erhöhen.
Sollte Russland bzw. der staatliche russische Energiekonzern Gazprom nach der jährlichen Wartung von Nord Stream 1 (10.–20. Juli 2022) kein Gas mehr liefern, könnten die Börsen in Deutschland und Europa abermals unter Druck kommen. Wir werden daher die Gewichtungen von Deutschland und Europa erneut reduzieren. Das bessere Chance-Risiko-Verhältnis bietet derzeit der US-Markt.
Im Lauf des ersten Halbjahres 2023 könnte sich das gesamte Börsenumfeld verbessern, sofern die US-Notenbank von ihrem restriktiven Kurs abrückt. Aus unserer Sicht bieten ausgewählte Anleihen weiterhin Chancen: Man findet wieder US-Dollar-Bonds mit Renditen von über 5% und Euro-Anleihen mit gut 4% Rendite – bei noch überschaubarer Laufzeit.
Aktien/Anleihen
- Ausgewählte Anleihen wieder chancenreich
- Produktionssektor in Deutschland und Europa mit Verlustpotenzial
- Defensive Aktien weiterhin im Fokus
Deutsche und europäische Aktien des energiesensiblen Produktionssektors wären bei ausbleibenden Gaslieferungen besonders gefährdet. Dagegen könnten Aktien von Unternehmen vielversprechend sein, die vom Ausfall der deutschen Industrie profitieren könnten. Einzelne Anlagechancen sehen wir auch bei festverzinslichen Wertpapieren mit derzeit hohen Renditeniveaus.
Volkswirtschaft/Regionen
- Gasverknappung belastet Produktion
- Inflations- und Zinserwartungen nehmen weiter ab
- Lockerere Fed-Politik könnte der Börse helfen
Seit Mitte Juni hat der russische Energiekonzern Gazprom seine Erdgaslieferungen via Nord Stream 1 um rund 60% reduziert. Begründung aus Moskau: Eine Turbine zur Gasverdichtung von Siemens Energy, die zur Wartung nach Kanada geschickt worden war, hängt wegen der Sanktionen nun dort fest. Die Folge: ein erneuter massiver Anstieg der Energiekosten in Deutschland und Europa. Sollte es nach dem Abschluss der Wartung von Nord Stream 1 (geplant nach dem 21. Juli) zu einem Stopp der Gaslieferungen kommen, dürfte das vor allem Deutschland und hier vor allem die Industrieproduktion gravierend belasten. Die mittelfristigen Inflations- und Zinserwartungen nehmen weiter ab. Die US-Notenbank Fed dürfte den angekündigten Zinserhöhungs- bzw. Liquiditätsabschöpfungszyklus nicht durchhalten können. Sollte die Fed im Lauf des ersten Halbjahres 2023 von ihrem aktuellen Kurs abrücken, könnte sich das Börsenumfeld verbessern.
Sektoren/Aktien/Bewertungen
- Abbau v.a. im Sektor Industrie/Produktion
- Telekommunikation und Versicherungen bieten Chancen
- Preissetzungsmacht und Profitabilität entscheidend
Deutsche und europäische Aktien des energiesensiblen Industriesektors können aus unserer Sicht noch weitere Kursverluste erleiden. Daher konzentrieren wir uns darauf, Unternehmen abzubauen, deren Schwerpunkt auf der Produktion liegt oder die stark vom Konsum in Deutschland abhängig sind. Auf der anderen Seite halten wir Aktien aus dem Telekommunikationssektor mit hohem Auslandsanteil und aus der Versicherungsbranche für aussichtsreich. Auch Aktien von Unternehmen, die vom Ausfall der deutschen Industrie profitieren, könnten interessant sein. Dabei setzen wir weiterhin auf Kriterien wie die Preissetzungsmacht von Unternehmen und eine starke Marktposition bzw. die Fähigkeit, die Margen zu halten.
Währungen/Rohstoffe/Gold
- Konjunktureller Gegenwind in Europa
- Keine US-Dollar-Absicherungen
Der konjunkturelle Gegenwind ist in Europa stärker und die Unsicherheit höher als in den USA. US-Dollar-Absicherungen sind daher nicht notwendig.