Corona hat an den Börsen – allem Anschein nach – seinen Schrecken verloren. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben der Wirtschaft enorm geschadet, aber die Investoren richten ihren Blick im Moment noch auf die Zeit danach. Wir suchen gezielt Chancen bei Wachstumswerten und defensiven Sektoren, doch steht für uns der Werterhalt an oberster Stelle.
Vom Analystenteam der DJE Kapital AG
Die wichtigsten Punkte für den kommenden Monat:
- Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg der Aktienbörsen.
- Unternehmensanleihen bieten Chancen.
- Corona stellt für die Börsen zunächst keine Gefahr mehr dar. Eine große zweite Welle halten wir für unwahrscheinlich.
- Die wirtschaftlichen Schäden durch die Corona-Maßnahmen sind enorm. Die Nachrichten aus der Wirtschaft werden weiter schlecht bleiben.
Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg der Aktienbörsen
Unsere Argumente für eine Erholung der Aktienmärkte entstammen, wie im letzten Monat, überwiegend der monetären und der markttechnischen Komponente. Die sehr nervösen, d.h. schwankungsintensiven Stimmungsindikatoren wie das Put/Call-Ratio (1) liefern inzwischen zwar keine Kaufsignale mehr, aber andere wie die Investitionsquoten sehr wohl. Die Erfahrung zeigt, dass derartig starke Signale wie das zuletzt beobachtete länger nachwirken können. Wir betrachten deshalb auch Durchschnittswerte über längere Zeiträume und keine Tagesschwankungen.
Die monetären Indikatoren verbessern sich in ungeahnten Dimensionen, weil die Notenbanken die Geldmengen massiv ausgeweitet haben und voraussichtlich weiter ausweiten werden. So ist z.B. eine nochmalige Verdopplung der Bilanz der US-Notenbank von etwa 6,6 auf 12 Billionen US-Dollar durchaus denkbar. Es wird alles getan, was getan werden kann. Wir halten das auch für die richtige Strategie, weil ein zögerliches Agieren große Risiken mit sich bringen würde. Die Gefahr für die Märkte liegt daher nicht in der Zögerlichkeit der Notenbanken, sondern darin, dass die fiskalischen und monetären Stimulierungsmaßnahmen unter Umständen nicht greifen könnten. Sollte das der Fall sein, dürfte der Aktienmarkt einer langen und schweren Baisse gegenüberstehen.
Wir beobachten das sehr genau. Der beste Indikator dafür ist vermutlich der Markt selbst. Derzeit schätzen wir die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario eher gering ein. Die Vollgasstrategie der Notenbanken sollte funktionieren. Wir sehen in einer höheren Staatsverschulung kein Problem für die Börsen.
=> Wir bleiben moderat zuversichtlich.
Unternehmensanleihen bieten Chancen
Die fundamentalen Rahmenbedingungen geben keinen Spielraum für steigende Zinsen. Die Notenbanken steuern die Liquidität heute über den Aufkauf von Staatsanleihen und darüber hinaus auch über den Ankauf von Unternehmensanleihen – sowohl von hochwertigen (Investment Grade) als auch von hochverzinslichen Papieren. Der Markt ist hochgradig manipuliert. Die Preisfindung und die Risikoaufschläge basieren nicht mehr auf freien Märkten.
Im nächsten Schritt halten wir es für möglich, dass die Zentralbanken auf das Mittel der Zinsstrukturkurven-Kontrolle (Credit-Curve-Control) zurückgreifen, das in Japan schon seit längerem praktiziert wird. Das wäre sicherlich nicht gesund, aber wir müssten das Beste daraus machen. Das heißt: Wir suchen eher Chancen bei Unternehmensanleihen, denn Staatsanleihen sind weitgehend ausgereizt, von Ausnahmen wie italienischen Staatsanleihen abgesehen. Leider ist die Liquidität der Anleihenmärkte derart eingeschränkt, dass wir bei Unternehmensanleihen verstärkt auf Neuemissionen setzen und auch Laufzeiten bis zu 10 Jahren akzeptieren müssen.
Insgesamt ist es aber ein gutes Zeichen für die Aktienmärkte, dass die Unternehmen sich weiter günstig Geld besorgen können und davon auch Gebrauch machen. Allein im März wurden US-amerikanische Investment-Grade-Bonds in Höhe von 264 Milliarden US-Dollar begeben – im Vergleich zum Vorjahr ein hoher zweistelliger Anstieg. Der Investor Warren Buffet sagte am Wochenende, dass es eine sehr gute Zeit sei, sich Geld zu leihen, und dass das auch gut für das Land sei. Diese Auffassung teilen wir, denn damit ist der monetäre Unterbau weiterhin gegeben, auch auf die Gefahr hin, dass die Unternehmensverschuldung steigt. Auch die Staatsverschuldung wird in einigen Staaten um 20% zulegen, doch das ist für Investoren weniger bedeutsam als die Unternehmensverschuldung.
In einem Umfeld wie diesem sollte die Gold-Nachfrage weiterhin hoch bleiben.
=> Wir halten an guten Emittenten fest, zeichnen aktiv Neuemissionen und nutzen Staatsanleihen überwiegend zur Liquiditätssteuerung.
Corona ist für die Börsen zunächst keine Gefahr mehr – große zweite Welle unwahrscheinlich
Die Zahlen der Corona-Neuansteckungen und -Toten gehen in den Industrienationen deutlich zurück. Weltweit wurden wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Covid-19 gemacht, die zukünftig dazu führen werden, dass man viel schneller und gezielter reagieren kann. Im Herbst sind die Umstände für eine zweite Welle zwar günstig, aber bis dahin wird man in der Identifikation, Bekämpfung und Vorbeugung des Virus vermutlich schon viel weiter fortgeschritten sein als noch heute.
In Großstädten ist die Quote der "Durchseuchung" schon heute deutlich höher als im allgemeinen Durchschnitt. Diese dürfte bis Herbst so hoch sein, dass eine zweite Welle weniger dramatisch ausfallen dürfte, da bereits ein größerer Prozentsatz der Bevölkerung eine Immunität gegen Covid-19 erworben haben dürfte. Die ursprüngliche Angst einer Knappheit von Intensivbetten ist zumindest für Deutschland bei Einhaltung von Abstandsregeln und Maskengebot unbegründet.
Wir gehen stark davon aus, dass zumindest Deutschland in diesem Jahr eine unterdurchschnittliche coronabedingte Sterblichkeit aufweisen wird. Das liegt auch an abgesagten Großveranstaltungen wie z.B. dem Oktoberfest oder Konzerten. Das ist deshalb wichtig, weil jedes Verlängern von Vorsichtsmaßnahmen den ohnehin schon großen wirtschaftlichen Schaden verstärken würde. Im Moment ist die Börse noch gewillt, durch diese schwierige Zeit hindurchzuschauen und den Fokus auf die Zeit danach zu richten. Dies darf aber nicht überstrapaziert werden. Politiker, die sehr präventiv agiert hatten, wurden zuletzt durch bessere Umfrageergebnisse belohnt. Die Reaktion dürfte beim nächsten Mal entsprechend sein.
=> Corona hat seinen Schrecken verloren, die Dramatik hat nachgelassen. Die Erkenntnisse der vergangenen vier Monate machen eine ausgeprägte zweite Ansteckungswelle unwahrscheinlich.
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen werden uns noch länger begleiten
Die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie haben enormen Schaden angerichtet. Ohne Frage werden die Wirtschaftsdaten anhaltend schlecht bleiben und verschiedentlich Negativrekorde erreichen. Die Frage ist, wie lange die Börse es schafft, den schlechten Nachrichten gegenüber gelassen zu bleiben. Im Moment sieht es danach aus, dass viel eingepreist ist, denn trotz der Hiobsbotschaften steigen die Kurse. Auch auf schlechte Unternehmensnachrichten reagiert die Börse nicht zwangsläufig negativ.
Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage gehen wir auch nicht davon aus, dass US-Präsident Donald Trump den Handelskonflikt ernsthaft forcieren wird. Er wird versuchen, durch seine Vorwürfe bestimmte Wählergruppen zu befriedigen, aber eine Eskalation vor der Wahl halten wir für unwahrscheinlich.
In den nächsten Monaten wird es weiter enorm schlechte Werte bei den Frühindikatoren (wie Auftragseingänge für Industrie und verarbeitendes Gewerbe, Arbeitslosenquote, Einkaufsmanagerindex, ifo Geschäftsklimaindex etc.) geben, allerdings ist dann (wie immer) entscheidend, ob die Erwartungen übertroffen werden.
Für eine Wiederbelebung der Value-Werte (2) fehlt uns im Moment noch die wirkliche Erholung der Wirtschaft. Dafür sollten sich die Frühindikatoren deutlich verbessern und die Zinsen steigen. Für beides ist es im Moment noch zu früh. Wir setzen daher wie bisher weiterhin auf eine ausgewogene Streuung der Branchen mit einem höheren Anteil an Wachstumstiteln (3) und defensiver Sektoren wie dem Gesundheitswesen und Versorgern. In jedem Fall sind hoch verschuldete Unternehmen zu meiden. Das oberste Gebot bleibt, dass wir bei Abwärtsbewegungen weiterhin weniger verlieren sollten als der Markt. Werterhalt steht an oberster Stelle.
=> Wachstums- und Technologieaktien sind im Umfeld anhaltend schwachen Wachstums weiter zu bevorzugen, genauso wie defensive Branchen.
(1) Put/Call-Ratio = Verhältnis zwischen Kauf- und Verkaufsoptionen
Wenn Verkaufsoptionen überwiegen, deutet dies nach vorherrschender Meinung auf eine negative Marktstimmung (Börsensentiment). Überwiegen dagegen Kaufoptionen, deutet dies aus dieser Sicht auf eine positive Marktstimmung. Tatsächlich ist häufig nach hohen Put-Call-Verhältnissen ein Ansteigen der Kurse zu beobachten. Die PCR gilt deshalb als ein Kontraindikator. Dabei ist zu beachten, dass unter normalen Bedingungen weniger Verkaufsoptionen als Kaufoptionen nachgefragt werden; eine ausgeglichene PCR nahe 1 gilt daher schon als Anzeichen einer leicht negativen Marktstimmung.
(2) Value-Strategie: Hinter der Value-Strategie (engl. Value = Wert) steht die Idee, dass an der Börse Unternehmen zu finden sind, deren eigentlicher Wert gegenwärtig von Marktteilnehmern noch nicht erkannt wird (unterbewertete Unternehmen).
(3) Growth-Strategie: Die Growth-Strategie (engl. Growth = Wachstum) konzentriert sich weniger auf die Analyse von Einzelunternehmen als auf die Betrachtung ganzer Branchen. Der Growth-Investor versucht, frühzeitig zukünftige Wachstumsmärkte zu erkennen und dann die Unternehmen mit der höchsten Wachstumsdynamik auszuwählen.