Während der Einzelhandel ursprünglich darauf angewiesen war, eine eigene IT-Infrastruktur aufzubauen, um im stetig wachsenden Onlinegeschäft zumindest präsent zu sein, zeichnete sich ab dem Jahr 2006 allmählich eine Entwicklung ab, die den Onlinehandel nachhaltig verändern sollte. Denn mit der Entscheidung des Branchenriesen Amazon, mit seinem „Amazon Web Services“ (AWS) die zuvor ausschließlich selbst genutzte IT-Infrastruktur im Sinne eines breiter gefassten Servicegedankens auch anderen Händlern und Unternehmen zugänglich zu machen, erschloss man mit dem „Cloud-Computing“ einen neuen Geschäftsbereich. Mit diesem assoziiert man eine breit gefasste Palette verschiedener Services und technischer Lösungen, sie sich individuell nach den jeweiligen Bedürfnissen buchen und wieder abbestellen lassen.
Der heute global agierende Onlineversandhändler Amazon, der einst als reiner Online-Buchhändler gestartet war, konnte sich Dank eines stark erweiterten Sortiments um weitere Produktkategorien innerhalb von nur wenigen Jahren zur weltweit größten eCommerce-Plattform entwickeln. Um eine Webseite, die täglich Millionen von Anfragen verzeichnet, erfolgreich betreiben zu können, bedarf es allerdings einer komplexen IT-Infrastruktur mit allen möglichen Technologiekomponenten, wie etwa Web Server, Application Server, Firewall (Security), Content Delivery Network, Failover and Desaster Recovery System (für den Fall eines Problems), replizierende Datenbanken, große Datenspeicher, Analysesysteme und noch einige Komponenten mehr.
Amazon hat seit Anfang der 2000er Jahre ein entsprechend großes Entwicklerteam aufgebaut, welches aufgeteilt in viele kleinere Teams an unterschiedlichen Softwareentwicklungen arbeitete. Jedes dieser Teams hatte immer wieder die gleiche Aufgabe: Verschiedene Infrastrukturkomponenten wie Server, Datenbanken usw. für ihr Softwareprojekt aufzusetzen. Dem Amazon-Team kam dabei die Idee, eine gemeinsame Infrastruktur aufzubauen und jedem Team durch eine Virtualisierungsschicht Zugriff auf dieselbe Infrastruktur zu geben. Somit mussten sich nicht alle Entwickler immer wieder um den typischen Infrastrukturaufbau sowie die Wartung kümmern, sondern konnten die Infrastrukturkomponenten als eine Art bereitgestellten „Service“ (beispielsweise Datenspeicher, Computing Power, Datenbank Service usw.) nutzen.
Cloud statt selber machen
Im Jahr 2003 kam das Management auf die Idee, die komplexe IT-Infrastruktur, die Amazon für eine der größten Webseiten der Welt betrieb, durch ihren Servicegedanken auch anderen Unternehmen zugänglich zu machen, zumal man für Webtraffic-Spitzenzeiten wie der eCommerce-Nachfrage zur Weihnachtszeit teilweise die zehnfache Kapazität vorhalten musste, die den Rest des Jahres ungenutzt blieb. Gleiches gilt auch für andere Unternehmen, die für ihre verschiedenen Projekte immer wieder die Infrastruktur bereitstellen und somit wiederkehrende Arbeit ausführen mussten.
Andy Jassy, der heute als CEO die Geschäfte von Amazon leitet, wurde damals beauftragt, einen Business-Plan für diese Idee zu entwerfen. Nach zahlreichen Überarbeitungen baute er schließlich den Unternehmensbereich „Amazon Web Services“ (AWS) auf, der im Jahr 2006 mit den ersten „Cloud Services“ für Unternehmenskunden online ging. Amazon wurde für diesen Schritt zunächst belächelt, da man Amazon bisher nur als Buchhändler und Online-Versandhaus kannte, aber nicht als Technologieanbieter.
Wie die Zukunft allerdings zeigen sollte, nahm man AWS lange Zeit nicht ernst genug. Übrigens war Amazon nicht die erste Firma, die in der „Cloud“, also der Datenwolke, dem Internet, aktiv war und IT-Services anbot. So gab es bereits seit Anfang der 2000er Jahre im Content Delivery Bereich (die weltweit schnelle und stabile Auslieferung von Webseiten und anderen Inhalten, wie etwa das Videostreaming) andere Internetspezialisten in den USA, die dies bereits erfolgreich anboten. Diese nahmen den Vorstoß von AWS nicht ernst genug – so wie alle anderen großen IT-Firmen der 2000er Jahre.
Vorsprung für Amazon im Cloud-Computing
Die neu angebotenen Services für Storage, Computing und bald auch Datenbanken waren sofort ein großer Erfolg in der Entwicklerwelt. Insbesondere Startups ermöglichte dies, ohne große Investments ihre Ideen schnell, direkt und kostengünstig umzusetzen. Doch auch der Vorteil großer Unternehmen, die notwendige teure Infrastruktur vorzuhalten, schmolz dahin. Bis 2010 konnte AWS den Cloud-Computing-Markt ohne Konkurrenz auf- und ausbauen. Entweder haben die Unternehmen, die auch im Cloud-Computing hätten aktiv werden können, nicht erkannt, dass das „Cloud-Computing“ ein größeres Geschäft werden könnte – oder es war so konträr zu ihrem eigenen lizenzgetriebenen Geschäft, das aus Einmalzahlungen für lokale Installationen statt nutzungsabhängiger Kosten auf geteilten Systemen bestand, dass sie damit ihr eigenes Geschäftsmodell untergraben hätten.
Die großen Cloud-Anbieter im Markt
2010 begann Microsoft schließlich mit ihrer Plattform „Azure“ in Konkurrenz mit AWS zu treten. Danach folgten in den Folgejahren unter anderem Alibaba, Google und einige weitere große Player. Alle waren zunächst AWS in technischer Hinsicht weit unterlegen, so dass AWS etwa sechs bis sieben Jahre Vorsprung hatte, bis sich ernstzunehmende Konkurrenz mit Microsoft Azure entwickelte. Microsoft Azure hat sich in den Folgejahren, ausgehend von einer erheblich niedrigeren Umsatzbasis, prozentual schneller entwickelt als AWS, wobei AWS seit dem Start von Cloud-Computing bis heute in jedem Quartal oftmals erheblich mehr absolutes Neugeschäft generiert hat, als es bei Azure der Fall ist. Dies bedeutet, dass sich die gesamte Marktgröße von AWS in absoluten Zahlen immer weiter von der Konkurrenz entfernt hat. Prozentual hält AWS seinen Marktanteil im Bereich von etwa 35 bis 40 Prozent am weltweiten Cloud-Computing-Markt seit mehreren Jahren stabil. Microsoft Azure folgt mit etwa 20 bis 25 Prozent. Danach kommt Google Cloud mit etwa zehn bis 15 Prozent, gefolgt von verschiedenen anderen Mitbewerbern. AWS (Amazons „Cashcow“) und Microsoft Azure sind hochprofitabel, während Google mit seinem Cloud-Angebot noch viel Geld verliert.
Alle drei Cloud-Anbieter fallen auch unter den Begriff „Hyperscaler“, also die am größten skalierenden Cloud-Anbieter mit dem umfangreichsten Angebot an Cloud Services. AWS hatte anfangs mit drei Services angefangen und bietet mittlerweile mehr als 200 verschiedene Services an. Im Prinzip werden alle gängigen IT-Technologien dort als Services nutzbar angeboten. Bei der Angebotsbreite und -tiefe ist AWS technisch weiterhin führend. Aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung zu Enterprise-Kunden erleichtert dies Microsoft, auf existierende Geschäftsverbindungen aufzubauen. Mittlerweile sind beide Unternehmen im Enterprise-Bereich gut vertreten, wobei Microsoft immer noch einen Kundenbeziehungsvorteil haben dürfte. Early Mover war sicherlich der Startup-Bereich, der lange Zeit auch den größten Umsatzanteil bei AWS ausmachte. Mittlerweile hat sich auch der Großteil der weltweiten Großunternehmen auf die „Cloud Journey“ begeben.
Wie können Unternehmen die Cloud einsetzen?
Unternehmen können mit dem Cloud-Computing verschiedene IT-Technologien nutzen, quasi „mieten“ bzw. „buchen“, ohne sich um den Aufbau und das Betreiben der Infrastruktur kümmern zu müssen. Diese Infrastrukturschicht wird auch als „Infrastructure as a Service“ (kurz: IaaS) bezeichnet, also Infrastruktur als Service angeboten wird. Die Unternehmen können somit auf Knopfdruck die Technologien auswählen und aktivieren, die sie benötigen und somit innerhalb weniger Minuten bis Stunden eine komplette Infrastrukturumgebung zum Laufen bringen („provisionieren“). Dieses Bereitstellen der Infrastruktur dauerte bei der herkömmlichen Arbeitsweise in Unternehmen nicht selten mehrere Wochen bis Monate. Man musste sich überlegen, welche Infrastrukturkomponenten man benötigt, das Budget dafür errechnen und beantragen. Nach Freigabe musste dann die Bestellung aufgegeben und nach üblicherweise längerer Lieferzeit damit begonnen werden, die Infrastruktur (Server, Datenbanken, Firewall usw.) aufzubauen und zu installieren. Das alles bekommt man bei den Cloud-Anbietern heutzutage auf Knopfdruck. Man kann dort theoretisch so viel buchen, wie (und wo in der Welt verteilt) man möchte – und bezahlt für die gebuchte Zeit die entsprechenden Preise für die Infrastruktur-Services (auch Cloud-Dienste genannt). Umgekehrt – falls weniger benötigt wird – kann man den Service einfach wieder abstellen und bezahlt dafür nichts mehr. Es gibt eine Vielzahl von Buchungsmodellen, so dass man flexibel jederzeit die Cloud-Dienste ein- und ausschalten oder auch eine längere Zeit vorab buchen kann, letzteres inklusive Preisnachlass. Jedoch muss am Ende auch die gebuchte Gesamtkapazität abgenommen werden.
In dieser Hinsicht lässt sich das Verwenden der Cloud-Dienste mit dem Verbrauch von Strom vergleichen: Man steckt den Stecker in die Steckdose und Strom wird verbraucht, man zieht den Stecker heraus und es fallen kein Stromverbrauch und damit zusammenhängende Kosten an – oder man bucht vorab ein größeres Kontingent zu einem besseren Preis (eher im Unternehmensbereich), muss aber auch die gesamte Energiemenge abnehmen. Diese gewonnene Flexibilität ermöglicht es Unternehmen, erheblich schneller neue Entwicklungen des IT-Sektors auszuprobieren, zu entwickeln und – wenn nicht mehr benötigt – auch wieder schnell abzustellen. Mit dem herkömmlichen Hardware-Modell (selbstständiger Einkauf, Aufbau und Inbetriebnahme) hatte man zwar die Infrastruktur aufgebaut und komplett bezahlt. Allerdings konnte man sie nicht so einfach wieder abschaffen.
Diese Flexibilität und Geschwindigkeit sind die technische Basis, um die so wichtigen Innovationen in allen Bereichen um ein Vielfaches schneller und effizienter vorantreiben zu können. Cloud-Computing hat dem Silicon Valley – und auch weltweit vielen anderen Startups – einen ordentlichen Anschub gegeben. Auch Großunternehmen haben erkannt, dass sie das Thema Innovation ernst nehmen müssen und betreiben dies intensiver als früher. Cloud-Computing beschleunigt nicht nur durch das unmittelbare Bereitstellen von Ressourcen und Computing Power die IT-Entwicklungszyklen, sondern es werden auch gerade neue Technologien vor allem im Cloud-Computing bereitgestellt.