Hohe Gewinnerwartungen der Unternehmen lassen für die kommenden Monate weiteres Kurspotenzial für die Aktienmärkte vermuten. Eine erhöhte Inflation begleitet die gut laufende Konjunktur, ohne jedoch weitere Schocks auszulösen. Da sich der übertriebene Optimismus wieder abgekühlt hat, ist eine abrupte Enttäuschung der Investoren unwahrscheinlich.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen. Im Gespräch mit dem Wall Street Experten und Finanzjournalisten Markus Koch geht der Leiter der DJE Research Abteilung, Stefan Breintner, auf die zentralen Thesen ein.
Überblick Juni 2021
Unsere Prognosen aus dem Strategiemeeting Anfang Mai haben sich weitgehend erfüllt: Der weltweite Aktienmarkt hat sich im zurückliegenden Monat weitgehend seitwärts entwickelt. Es gab kein „Sell in May“. Historisch gesehen ist der Juni eher ein schwacher Börsenmonat. Wir sind dennoch relativ zuversichtlich für den aktuellen und die kommenden Monate. Zum einen hat sich die Markttechnik im Mai verbessert, da der Anlegeroptimismus zurückgegangen ist. Zum anderen muss man sich um die Konjunktur aktuell auch keine Sorgen machen, die Gewinnentwicklung der Unternehmen sollte auch im zweiten Quartal gut ausfallen.
Aufpassen muss man weiter bei der Inflation. Wir rechnen auch in den kommenden Monaten mit erhöhten Inflationsraten. Die Notenbanken der USA und Europas haben hier aber schon vorgebaut und das Inflationsthema als vorübergehend eingestuft. Kurzfristig stärkere Zinssteigerungen erwarten wir daher nicht, was dazu führen sollte, dass die Realzinsen weiter klar im negativen Bereich bleiben werden. Das wiederum ist positiv für Aktien und Sachwerte. Cash und weitestgehend auch Anleihen sind keine Anlagealternativen, daher behalten wir unsere hohen Aktienquoten bei.
Fundamentale Aussicht
- Die globale Konjunktur läuft weiter gut
Auch im zweiten Quartal sollte die Gewinnentwicklung bei den meisten großen börsennotierten Konzernen gut ausfallen. Der DAX könnte bei den derzeitigen Gewinnschätzungen um weitere 1.000 Punkte steigen (aktuell fehlen nur noch rund 400 Punkte vom DJE-Ziel 16.000). Das entspräche einem 2021er KGV1 von ca. 15. Im historischen Kontext ist das nicht zu hoch.
Steigende Rohmaterialpreise werden zwar die Marge im zweiten Quartal stellenweise belasten, aber diese Produktkostensteigerungen können von Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht2 weitergegeben werden. Überkapazitäten gibt es in vielen Sparten derzeit nicht, im Gegenteil: Sehr viele Produkte sind derzeit Mangelware. Unternehmen nutzen die sehr gute Mittelgenerierung und die reichliche Liquiditätsversorgung auch wieder verstärkt für Aktienrückkäufe. Zudem lässt sich auch ein Anstieg der M&A3-Aktivitäten beobachten.
Monetäre Aussicht
- Auch in den kommenden Monaten ist mit höheren Inflationszahlen zu rechnen
- Überschussliquidität nimmt durch gute Wirtschaftsentwicklung etwas ab
Die Inflationsentwicklung bleibt das dominierende Thema an den Kapitalmärkten. Wir gehen auch für die kommenden Monate von einer weiterhin erhöhten Inflation aus (USA: 4-5%). Unserer Meinung nach dürften diese höheren Inflationszahlen keine Schocks mehr auslösen. Sollte die Inflation höher als erwartet ausfallen, werden die Notenbanken mit großer Wahrscheinlichkeit versuchen, zu beruhigen und bei aufkommenden Straffungsdiskussionen („Tapering“) intervenieren. Eine galoppierende Inflation, die manche befürchten, erwarten wir aufgrund der zahlreichen Einmaleffekte nicht.
Stark steigende Zinsen halten wir kurzfristig auch für unrealistisch. Mit Blick auf die Anleihenmärkte behalten wir unsere kurze Duration bei. Einen zusätzlichen Inflationsschub durch stark steigende Löhne (Zweitrundeneffekt) erwarten wir zurzeit ebenfalls nicht. In den USA sind z.B. nur 8% aller Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert, und Mindestlöhne, welche steigen könnten, wenn der Service-Sektor wieder stärker anzieht, stehen nur für 7% aller Löhne. Viele Zykliker profitieren weiterhin von der angespannten Warenverfügbarkeit, da viele Unternehmen über eine hohe Preissetzungsmacht verfügen. Die Realzinsen dürften sowohl in den USA (zuletzt -2,6%) als auch in Europa weiter im negativen Bereich bleiben. Sachwerte wie Aktien und Edelmetalle oder auch Immobilien (wie z.B. in Großbritannien) dürften im Szenario negativer Realzinsen weiter gesucht bleiben.
Markttechnische Aussicht
- Situation hat sich in den letzten vier Wochen verbessert
„Sell in May“ war bei vielen US-Großbanken ein heiß diskutiertes Thema, ist aber nicht eingetreten. Aktuell ist die Markttechnik auch nicht mehr so angespannt wie noch vor gut vier Wochen. So steht etwa der NAIIM4-Indikator, welcher die Investitionsquoten institutioneller Investoren misst, aktuell bei 68% (nach 104% Anfang Mai), und die Barbestände der Fondsmanager liegen im neutralen/positiven Bereich bei 4,1%. Insgesamt hat sich die Markttechnik damit gegenüber dem vergangenen Monat verbessert, weil sich der zwischenzeitlich überbordende Optimismus der Investoren wieder abgekühlt hat.
Sektoren und Länder Aussicht
- Ausgewogenheit vor Sektorenfokus
- Regional könnte sich Großbritannien überdurchschnittlich entwickeln
Wir empfehlen weiterhin eine ausgewogene Portfolioallokation und keine zu massiven Über- bzw. Untergewichtungen. Denkbar ist, dass Großbritannien gestärkt aus dem Brexit hervorgeht. Hauspreise verbesserten sich dort zuletzt stärker, und auch britische Inlandsaktien könnten interessant sein. Titel aus dem Bausektor halten wir weiter für aussichtsreich.
Währungen/Rohstoffe/Gold
- USD/EUR-Wechselkurs weiter weitgehend neutral eingeschätzt
- Rohstoffe und Gold weiter positiv
Aktuell sehen wir den USD/EUR-Wechselkurs weitgehend neutral. Die Währungsentwicklung bleibt generell am schwierigsten einzuschätzen. Der US-Dollar könnte tendenziell durch das massive Doppeldefizit (Haushalts- und Handelsbilanz) belastet bleiben. Gold und Rohstoffe sollten weiterhin durch das negative Realzinsumfeld unterstützt bleiben.
Fachbegriffe
1 DAX-KGV: Durch das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Deutschen Aktienindex wird der Index-Punktestand mit den Gewinnen der im DAX gelisteten Unternehmen ins Verhältnis gesetzt. In den vergangenen 30 Jahren wurde ein durchschnittliches DAX-KGV von 19 gemessen. KGVs unterhalb dieser Marke signalisieren aus Sicht der Bilanzanalyse eine günstige Bewertung deutscher Aktien, während man bei DAX-KGVs über dieser Marke von einer Überbewertung des Aktienmarkts sprechen kann.
2 Unternehmen mit hoher Preissetzungsmacht sind Firmen mit starken Marken, wie der iPhone-Riese Apple, oder solche, die eine starke Marktposition besetzt haben, wie der Softwarehersteller Microsoft oder der Online-Handelsriese Amazon.
3 M&A (Mergers and Acquisitions) = Fusionen und Übernahmen.
4 NAAIM (National Association of Active Investment Managers): Der NAAIM-Exposure-Index bildet das durchschnittliche Engagement seiner Mitglieder an den US-Aktienmärkten ab. Der NAAIM-Index ist nicht vorausschauend, sondern bietet einen Einblick in die tatsächlichen Anpassungen, die aktive Risikomanager in den letzten zwei Wochen an Kundenkonten vorgenommen haben.