Es wird unübersichtlicher. Starke geld- und fiskalpolitische Stimuli stützen den Markt, doch die Konjunktur erholt sich eher schleppend. Corona feiert fröhliche Urständ in den USA, die sich auf die Präsidentschaftswahlen vorbereiten. In einem wahrscheinlich volatilen Sommer ist aktive, gezielte Auswahl gefragt.
Die Autoren
Das Analystenteam von DJE beobachtet und bewertet die Märkte laufend anhand der hauseigenen FMM-Methode nach fundamentalen, monetären und markttechnischen Kriterien. Einmal im Monat fassen sie ihre Ergebnisse zusammen:
Unsere Prognose einer kurzfristigen Pause, aber einer nicht zu starken Korrektur, hat sich als richtig erwiesen. Rückschläge waren wie erwartet Kaufgelegenheiten. Inzwischen, d.h. nach der ersten Juliwoche, befinden wir uns beim DAX wieder auf dem gleichen Niveau wie vor einem Monat. Heute unterstützt die Markttechnik jedoch etwas weniger, und bei den Fundamentaldaten ist der große positive Verbesserungsimpuls bereits eingetreten. Mit Blick nach vorne werden Makroverbesserungen von nun an in kleineren Schritten kommen. Insgesamt ist die Situation etwas unklarer als im Vormonat.
Die wichtigsten Punkte für die kommenden Wochen:
- Kurzfristig: Corona kehrt als Belastungsfaktor zurück und hält die Markttechnik im Zaum
- Konjunkturerholung verläuft insgesamt schleppend, aber China und Europa haben Potenzial
- Monetäre und fiskalpolitische Einflüsse bleiben die dominierenden Faktoren
- Ausgewogene Sektorallokation – keine großen Veränderungen, bisherige Favoriten werden beibehalten
Kurzfristig: Corona kehrt als Belastungsfaktor zurück und hält die Markttechnik im Zaum
Außerhalb Deutschlands verschärft sich die Corona-Situation teils erheblich. In einigen Ländern kommt es zu kleineren zweiten Wellen, während in anderen wie in den USA oder Brasilien noch die erste Welle ansteigt. Bislang steckt die Börse diese negativen Botschaften noch weg, allerdings darf der Bogen nicht überspannt werden. Daher ist aktives Risikomanagement und im Bedarfsfall schnelles Handeln gefragt.
Die Signale der Stimmungsindikatoren sind ambivalent. Auf der einen Seite gibt es klare Übertreibungen, wenn man z.B. das Put-Call-Ratio1 oder die sehr hohe Aktivität der Kleinanleger (Depoteröffnungen auf Rekordhoch) betrachtet. Auf der anderen Seite drückt Corona auf die Stimmung, denn die professionellen Investoren sind zwar deutlich zuversichtlicher als im Vormonat, aber nicht zu stark investiert. In den vergangenen Monaten haben Geldmarktfonds einige Zuflüsse verzeichnet. Das zeigt auch, dass nicht alle Anleger investiert sind. Viele Umfrageindikatoren liegen irgendwo im neutralen Bereich. Unterm Strich stehen noch potenzielle Käufer bereit, wenn der Markt weiter nach oben läuft. Es gibt aber auch genügend Verkäufer, sollte Corona zu sehr belasten.
Fazit: Wir rechnen Corona-bedingt mit einer volatilen, asymmetrischen Seitwärtsbewegung im Sommer mit der Chance auf höhere Kurse in den USA – bis zur Wahl. Zwischendurch dürften Nachrichten über Lockdown-Maßnahmen belasten. Rückschläge sind jedoch Kaufgelegenheiten.
Konjunkturerholung insgesamt schleppend, aber China und Europa mit Potential
Der Hotspot der Corona-Pandemie liegt derzeit klar in den USA. Europa kann sich dagegen bislang erfolgreicher gegen Covid-19 schützen. Wir gehen daher davon aus, dass sich die Konjunktur in Europa zügiger erholen können wird. China steht demgegenüber weniger im Fokus, stimuliert aber auch stark und die Visibilität zu Covid-19 und zur Konjunkturerholung ist deutlich klarer. Davon profitiert auch Hongkong, das jetzt mehr und mehr in chinesischer Hand ist. Wir sind in Hongkong traditionell gut investiert und werden unser Engagement aber voraussichtlich weiter ausbauen. Chinas Einfluss ist für das Wachstum des Standorts Hongkong tendenziell gut.
Die USA werden in den nächsten Monaten – auch wegen der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen – schwierig zu prognostizieren sein. Donald Trump liegt in den Umfragen zwar deutlich hinten, aber er war immer für Überraschungen gut. Für die Börse wäre er kurzfristig vermutlich der bevorzugte Kandidat, weil er anders als sein demokratischer Herausforderer Joe Biden für niedrige Steuern steht. Ob Biden allerdings im aktuellen Umfeld tatsächlich Steuererhöhungen durchsetzen würde, sei noch dahingestellt. Ergo: Die Wahl wird die Volatilität erhöhen, was aber so oder so nicht negativ sein muss. Der Dollar könnte sich vor dem Hintergrund der verbesserten Konjunktur weiter abschwächen, weil die Investoren dem sicheren Hafen US-Dollar den Rücken kehren und sich dem Euro zuwenden. Zudem ist der (kaum mehr vorhandene) Zinsunterschied kein Argument mehr für den Dollar.
Fazit: Die Börse hat den Aufschwung vorweggenommen, die Konjunktur bestätigte zuletzt die Erholung. Europa und China stehen relativ gut da. Es bleibt beim Goldilocks-Szenario2. Die Konjunktur muss sich nicht allzu stark entwickeln, sondern einfach nur stabil bleiben. Die stimulierenden Maßnahmen werden im Zweifel ausgeweitet und helfen den Märkten. Notenbanken haben aus der Vergangenheit gelernt und reagieren heute zügiger und entschlossener.
Monetäre und fiskalpolitische Einflüsse bleiben die dominierenden Faktoren
Gerade weil monetäre und fiskalpolitische Faktoren so wichtig sind, dürfte Europa begünstigt sein. Hier wird nicht nur monetär stark unterstützt, sondern auch fiskalisch kräftig angekurbelt. Fiskalisch wird hier, mit Blick auf die Defizite, mehr Gas gegeben als in den USA. Deutschland kommt auf ein Defizit von rund 20%. Es werden bis zu 40% des Bruttoinlandsprodukts BIP (1,27 Billionen Euro) für Rettungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt. Für Europa ist die Abkehr Deutschlands von der Austeritätspolitik, also der Abkehr vom ausgeglichenen Staatshaushalt, eine neue Situation, die zunächst belebend wirken dürfte. Mit den beabsichtigten Hilfspaketen wurden Eurobonds quasi durch die Hintertür eingeführt. Damit ist klar: Deutschland käme aus der EU nicht mehr heraus, dafür sind die Beträge inzwischen viel zu groß.
Für die USA erwarten wir aufgrund der anstehenden Präsidentschaftswahl, dass mindestens die Unterstützungsgelder für die Konsumenten bis zur Wahl hochgehalten werden. Zuletzt entstand der Eindruck, dass die US-Notenbank weniger am Markt interveniert, weil die Bilanz nicht weiter stieg. Das dürfte aber überwiegend an Rückzahlungen anderer Notenbanken gelegen haben. Wir gehen auch davon aus, dass die sogenannte Yield-Curve-Control, also die direkte Zinskurvensteuerung durch die US-Notenbank Fed etabliert wird. Das ist für die Notenbank ein ressourcenschonendes Mittel, um die Zinskurve am vorderen und hinteren Ende niedrig zu halten. Für den Aktienmarkt sollte das positiv sein. Auch Gold sollte davon profitieren, vor allem dann, wenn der Realzins weiter sinkt, sobald die Inflation zumindest etwas anzieht.
Fazit: Quantitative Easing3 auf unbestimmte Zeit plus Fiskalstimuli ohne feste Grenzen plus Yield-Curve-Control. Das ist das Rezept für überreichliche Liquiditätsversorgung und damit die Basis für Nachfrage am Aktienmarkt.
Ausgewogene Sektorallokation – keine großen Veränderungen, Favoriten beibehalten
Gerade in der aktuell sehr unübersichtlichen Situation ist es schwierig, pauschale Meinungen zur Sektorallokation zu formulieren. Wir schauen uns jedes Unternehmen einzeln an, um dessen Krisenfestigkeit zu prüfen. Wir bleiben aber bei unserer Einschätzung, dass Technologieunternehmen in den Portfolios nicht fehlen dürfen, weil sie vielfach sogar zu den Profiteuren gehören. Das ist auch der Grund, warum dieser Sektor bei den Investoren so beliebt ist. Bislang gibt es aber keinen operativ dringlichen Grund, diese Unternehmen bereits jetzt zu verkaufen.
Ein stark untergewichteter Sektor ist der Industriesektor. Doch in dieser Branche gibt es ebenfalls selektiv Profiteure, die wir identifizieren können. Es darf auch nicht vergessen werden, dass z.B. durch die geänderte Insolvenzordnung und ähnliche Effekte das wahre Ausmaß der Krise erst mit Zeitverzögerung bei einigen Unternehmen ankommt. In jedem Fall heißt es Augen auf und Kopf einschalten. Für einen aktiven Asset Manager ist es eine gute Zeit, in der nicht alles synchron steigt, sondern Selektion gefragt ist. Wir werden unseren Schwerpunkt bei großen, liquiden Werten setzen und den defensiven Charakter nicht vernachlässigen.
Fazit: Sektoren und Einzelaktien entwickeln sich sehr heterogen. Selektion ist wieder gefragt. Wir setzen auf eine Mischung aus Technologie/Wachstum, defensiven Werten und ausgesuchten Zyklikern.
(1) Put-Call-Ratio = Verhältnis zwischen Kauf- und Verkaufsoptionen
Wenn Verkaufsoptionen überwiegen, deutet dies nach vorherrschender Meinung auf eine negative Marktstimmung (Börsensentiment). Überwiegen dagegen Kaufoptionen, deutet dies aus dieser Sicht auf eine positive Marktstimmung. Tatsächlich ist häufig nach hohen Put-Call-Verhältnissen ein Ansteigen der Kurse zu beobachten. Die PCR gilt deshalb als ein Kontraindikator. Dabei ist zu beachten, dass unter normalen Bedingungen weniger Verkaufsoptionen als Kaufoptionen nachgefragt werden; eine ausgeglichene PCR nahe 1 gilt daher schon als Anzeichen einer leicht negativen Marktstimmung.
(2) Goldilocks (englisch für „Goldlöckchen“) steht hier für niedriges Wachstum und starke Unterstützung der Geldpolitik.
(3) Quantitative Easing (QE) oder quantitative Lockerung: Geldpolitische Maßnahmen von Zentralbanken mit dem Ziel, die langfristigen Zinsen zu senken und zusätzliche Liquidität ins Bankensystem zu schleusen. Bei einer quantitativen Lockerung kauft eine Zentralbank in großem Umfang Anleihen an, insbesondere langlaufende Staatsanleihen, was in der Tendenz einen Anstieg der Anleihekurse und eine Senkung der entsprechenden Renditen bewirkt und in der Folge das allgemeine Zinsniveau am Anleihemarkt beeinflusst.